Mehr als nur Fassade
Die Londoner Zentrale des Modelabels Reiss hüllt sich in einen schwebenden Vorhang aus Licht.
Außergewöhnlich auffallend – das trifft sowohl auf die Kollektion als auch auf das Flaggschiff aller Filialen des Modelabels Reiss zu. Mit ausgefallener Mode unterstreicht das Unternehmen die Einzigartigkeit ihrer Träger. Es präsentiert aber auch seine eigene Individualität: Seine Zentrale in der Londoner Innenstadt ist in eine extravagante Fassade gekleidet. Sie spiegelt die vielen Facetten des Labels und dessen Philosophie wider, erfüllt gleichzeitig aber auch praktische Funktionen.
Bei der Ausschreibung des Projekts gab es klare Vorgaben: Die Fassade sollte Aufsehen erregen und darauf hinweisen, dass hinter ihr Mode kreiert und verkauft wird. Eine optische Einheit der unterschiedlichen Bereiche wie Verkauf, Büros, Schnitträume und Designstudios sowie der Penthouse-Wohnung in der obersten Etage war das Ziel. Gleichzeitig musste die Fassade die Ansprüche für ein modernes Gebäudemanagement erfüllen und ein angenehmes Klima im Gebäudeinneren schaffen.
Einkaufsbegeisterte, die die Oxford Street in London hinunterschlendern, steuern direkt auf das Bauwerk in der Barrett Street zu. Es fällt schon von Weitem ins Auge, weil es tagsüber im Sonnenlicht in vielen Facetten glitzert und glänzt, teilweise einem gigantischen Barcode ähnelt und plötzlich – durch einen veränderten Lichteinfall – ein völlig neues Aussehen erhält. Nachts wird dieser Eindruck noch verstärkt: Dann scheint es, als sei das Gebäude in flüssiges Licht gehüllt, das den Faltenwurf eines riesigen, seidigen Vorhangs nachahmt.
"Zu Beginn des Projekts war nur klar, dass ein Lichtvorhang das Gebäude umgeben sollte."
- Dr. Gerd Jonas
Director Specialty Business Acrylic Products bei Röhm
Vorhang mit Ecken und Kanten
Dieser opake, aber dynamische, lichtdurchlässige Vorhang war die Idee des englischen Architekturbüros Squire and Partners. Um wechselnde Effekte hervorzurufen, mussten die transluzenten Vorhangelemente bearbeitet werden: Unterschiedlich tiefe, vertikale Ausfräsungen sowie matte und polierte Stellen sorgen dafür, dass sich das Licht auf vielfache Weise bricht. Der sich im Laufe des Tages verändernde Lichteinfall tut sein Übriges. Das Material der Fassade musste dafür lichtdurchlässig und stabil sein. „Zu Beginn des Projekts war nur klar, dass ein Lichtvorhang das Gebäude umgeben sollte“, berichtet Dr. Gerd Jonas, Director Specialty Business Acrylic Products bei Röhm. „Die Entscheidung für das Material fiel erst im Laufe dern Umsetzung“.
Glas schied schon zu Beginn aus, weil es für das Projekt zu schwer und instabil ist. Auf der Suche nach dem richtigen Material stießen Squire and Partners auf PLEXIGLAS®.
„Sie entschieden sich für Blockelemente“, berichtet Jonas. „Die sind für das Projekt wie gemacht, weil sie auf unterschiedliche Weise bearbeitet werden können und so eine variable Materialstärke ermöglichen, ohne an Stabilität zu verlieren.“ Durch die UV-Beständigkeit des Materials ist zudem gewährleistet, dass die Paneele nicht vergilben oder brüchig werden. Damit bleiben Lichtdurchlässigkeit und Wirkung der Fassade dauerhaft erhalten.
Ein Profil für wechselnde Looks
Um das fünfstöckige Gebäude komplett zu umhüllen, mussten 73 PLEXIGLAS® Blöcke zugeschnitten werden. Die Ausgangsformate der PLEXIGLAS® Blöcke waren 5 mal 2 und 3,8 mal 1,8 Meter mit der Materialdicke von 50 mm. Nur wenige Unternehmen können so große Werkstücke bearbeiten. Mit dem nötigen Equipment – wie einer speziellen CNC-Fräse – und viel Erfahrung brachte die Firma Heinz Fritz Kunststoffbearbeitung die Blöcke in Form. So bekamen diese die richtige Größe und eine Profilierung mit unterschiedlichen Tiefen. Die Einbaulänge liegt zwischen 4,2 und 3,4 Metern und die Breite beträgt zwischen 1,6 und 1,4 Metern. Die dünnsten Stellen wurden auf eine Restdicke von 20 mm heruntergearbeitet. Die Fräsungstiefen variieren zwischen 10 und 30 Millimetern.
Poliert oder matt
Vor und nach dem Fräsen wurden die Blöcke in einem Temperschrank gleichmäßig erwärmt, um etwaige Spannung aus dem Material herauszunehmen. So ist das Material optimal und dauerhaft für die Außenbewitterung sowie die auftretenden Belastungen gerüstet. Um die Lichteffekte zusätzlich zu verstärken, wurden die Paneele anschließend stellenweise poliert oder mattiert. So entstehen für den Betrachter je nach Lichteinfall wechselnde Lichtspiele, da die Strahlen durch die Fräsmuster immer wieder auf unterschiedliche Weise gebrochen werden.
Außerdem bewirkt die heterogene Oberflächenbearbeitung ein angenehmes, blendfreies Licht, das besonders für Arbeiten in Räumen wie den Ateliers und Büros hinter der Fassade wichtig ist. Diese sind auch auf ein angenehmes Klima mit erträglichen Temperaturen angewiesen.
Faszination mit Funktion
Besonders die nach Süden gerichteten Räume sollten durch die Fassade kühl gehalten werden. PLEXIGLAS® fängt zwar einen Teil der heißen Sonnenstrahlen ab, doch entschied das Architekturbüro, diesen Kühlungseffekt noch zu verstärken. Dafür befestigte es die Fassade mit einem begehbaren Abstand zur Gebäudewand, so dass Raum für Luftzirkulation und Wartungsarbeiten entstand. 40 Millimeter trennen nun die PLEXIGLAS® Paneele voneinander und rund 60 Zentimeter von der Gebäudewand.
Jedes einzelne Paneel steht auf zwei T-förmigen Stahlkonsolen. Die Halterungen selbst sind verdeckt und werden punktuell durch Einfräsungen an der Fassadenkonstruktion aus vertikalen Edelstahlpfosten befestigt. Da sich zwischen Fassade und Gebäude der Wind leicht verfangen kann, sind die Verbindungen zur Fassadenkonstruktion verschiebbar. Die Abstände zwischen den Paneelen sorgen dafür, dass die Windlasten abgeleitet werden. „Das funktioniert selbst dann, wenn sich die Paneele durch Wärmeeinwirkung etwas verlängern“, erklärt Jonas. Besonderes Augenmerk galt der konstruktiven Befestigung der Platten, so dass unterschiedliche Wärmedehnungen und extreme Windlasten dauerhaft abgetragen werden können.
Ein strahlendes Antlitz bei Nacht
Die Zentrale des Modelables Reiss in der Londoner Innenstadt ist in eine extravagante Fassade gekleidet, die die vielen Facetten des Labels und dessen Philosophie widerspiegelt und gleichzeitig viele praktische Funktionen erfüllt.
Durch die fast unsichtbare Befestigung scheint es, als würde die Fassade völlig abgelöst vom Gebäude schweben. Nicht nur tagsüber, wenn sich das Sonnenlicht im Profil der Paneele bricht, sondern auch nachts ist sie ein weithin erkennbarer Blickfang. „In der Aufhängung hinter den PLEXIGLAS® Blöcken befinden sich Schienen mit LEDs“, erklärt Jonas das System. „Sie können separat angesteuert werden und sind so programmiert, dass die Fassade unten in einem kalten Weiß erstrahlt, das nach oben hin immer wärmer wird.“ Damit das Licht entsprechend zur Geltung kommt, ist es wichtig, dass das Material einen hohen Transmissionsgrad aufweist. Durch die optische Brillanz von PLEXIGLAS® erhält der Lichtvorhang in der Londoner Innenstadt einen seidigen und fließenden Glanz – und das Flaggschiff von Reiss ein außergewöhnlich auffallendes Gewand.